Was tut sich denn dort im Schilfdickicht am Haddebyer Noor? Vom Weg zwischen Odins Gasthof, Parkplatz und Wikingermuseum aus sind seltsame Pyramiden im Reetgürtel des Noorufers zu erkennen. Baut dort jemand Lavvus auf, die Zeltkoten der im hohen Norden lebenden Samen, oder sollen das nordamerikanische Tipis sein? Das Foto ist nicht so deutlich, es war diesig, ich war weit entfernt auf dem Weg und es regnete. Aber dass dort etwas war, das habe ich gesehen!
Links davon, zwischen Baum, Gebüsch und dem Ansgar-Denkmal, regte sich auch etwas.
Dorthin war der Blick auch besser: Es ist zu erkennen, dass die seltsamen Pyramiden aus geschnittenen Reetbündeln bestehen, die zum Trocknen in Garben zusammengestellt werden.
Es kommt hier in der Gegend selten vor, dass das Schilf abgeerntet wird. Die Schilfzonen am Schleiufer haben einen sehr hohen ökologischen Wert. Sowohl das Schilf selbst als auch die in den Schilfflächen siedelnden Mikrolebewesen wirken reinigend, nährstoffabbauend und sauerstoffzuführend auf das Wasser. Die Schlei, die zwar ein Arm der Ostsee ist und touristisch als „Ostseefjord“ angepriesen wird, hat durch ihre Länge jedoch keinen großen Wasseraustausch. Ihre Wasserqualität hängt vom Schilf ab, das jedoch aus verschiedenen Ursachen immer weniger wird. Die Königswiesen, vielen Gästen als Veranstaltungsort der „Wikingertage“ bekannt, waren auch einmal eine große, sumpfige Schilffläche. Inzwischen wird hier um jeden Quadratmeter Schilf gekämpft, wie Versuche, Schilf an der Möweninsel und anderswo anzusiedeln, und die Empörung über die Schilfrodung am Ufer der „Freiheit“ zeigen. Aber warum werden diese ökologisch so kostbaren Halme dann abgeschnitten?
Im Jahresrhythmus wachsen jedes Frühjahr neue grüne Schilfrohre aus den alten Wurzelausläufern empor. Auch wenn die ganz alten Teile dieser unterirdischen Rhizome absterben, können sich im Laufe der Jahre riesige Wurzelflächen bilden. Als ganzes gesehen können Schilfpflanzen ein geschätztes Alter von bis zu 8.000 Jahren erreichen!
Nach der buschig-schwarzen Blüte im Spätsommer sterben die Halme zum Winter hin ab, vergilben und werden durch Winterstürme, schweren Schnee und Eis abgebrochen. Die abgestorbenen Teile sind Grundlage für neues Leben, und Schilf trägt so zur natürlichen Verlandung von Gewässern bei. Eine Wasserfläche, die nicht im Laufe der Zeit verlandet, ist eine vom Menschen beinflusste Kulturlandschaft. Die Wikinger, die ihre Häuser unter anderem auch mit Reet deckten, haben diese Bauweise nicht erst erfunden! Schon vor ihnen wurden in der Bronzezeit Nurdachhäuser aus Reet gebaut. Nachbauten davon können im AZH besichtigt werden.
Weil unsere Gewässer insgesamt durch zu hohe Nährstoffwerte aus Abwasser und Landwirtschaft belastet sind, bilden sich unter Sauerstoffabschluss häufig Faulschlammschichten auf dem Grund. Diese verbrauchen wieder Sauerstoff, wodurch die Wasserqualität dann noch mehr abnimmt. Das Schilf hilft daher einerseits, Nährstoffeinträge durch Oberflächenwasser zu reduzieren, führt aber andererseits dem Wasser durch seinen abgestorbenen Teile auch Nährstoffe zu. Zur Erhaltung der Wasserqualität und der Waserfläche selbst ist es heute sowohl nötig, die Nährstoffzfuhr ins Wasser zu begrenzen als auch immer wieder die Schilfgürtel abzuernten. Das geschah früher regelmäßig bei der Gewinnung von Dacheindeckung, denn Reetdächer müssen immer wieder erneuert werden. Heute kann der Bedarf an Reet als Material aus den wenigen, noch in Deutschland existierenden Flächen sowieso nicht gedeckt werden, es wird viel imporiert.
Wozu das Reet, das gerade am Haddebyer Noor geerntet wird, schließlich verwendet wird, weiß ich nicht. Das bleibt erst einmal ein „Reetsel“. Ich wollte mit diesem Text vor allem den Gästen aus anderen Regionen, die die Schlei nur im Sommer erleben, einen Blick auf diese prägende Pflanze und die anderen Jahreszeiten hier am Schleiufer bieten. Wir können eben nicht nur Muscheln schubsen, wir schieben auch Schilfinseln hin und her! 😉